Emitte lucem

Motette für 8-stimmigen Chor



Psalm 43 (42),3

Emitte lucem tuam et veritatem tuam ; ipsa me deduxerunt, et adduxerunt in montem sanctum tuum, et in tabernacula tua.

Sende dein Licht und deine Wahrheit, damit sie mich leiten; sie sollen mich führen zu deinem heiligen Berg und zu deiner Wohnung.

Aus dem programmheft der Uraufführung:

Das Buch der Psalmen stellt meines Erachtens nach eine der spannendsten Textgrundlagen geistlicher Musik dar: es gibt kein Verhältnis zu geistlichen Themen und menschlicher Existenz generell, dass in den Psalmen nicht thematisiert wird: von den größtmöglichen Zweifeln an einer Gottheit, letztendlich auch an deren Existenz, bis hin zum großen Jubel über diesen Gott.

Dabei entfalten diese Texte ihre Faszination auf mich dadurch, dass sie sich oftmals einer genau definierbaren Lesart entziehen und somit Grundlage für eine höchst persönliche Auseinandersetzung mit geistlichen Themen werden.

So behandelt der ausgewählte Abschnitt aus Psalm 43 das Licht, dass als Wahrheit gesendet werden soll: eine Suche, die vielleicht jeder Mensch unterschiedlich kennen mag: nach etwas Wirklichen, nach einer oder der Wahrheit, aber auch nach etwas Leuchtendem, nach dem Licht im Dunkel. Dabei entzieht sich der Psalm jedoch der Antwort, was dieses Licht oder diese Wahrheit sein soll: hier beginnt die höchst individuelle Deutungshoheit eines Rezipienten.

So taucht das Motiv des Anfangs „Emitte lucem – Sende dein Licht“ über das gesamte Stück hinweg in verschiedenen Lesarten auf: zunächst aus flexibles, fließendes, vielleicht lichtdurchflutetes Gebilde, später mit gleichen Tönen aber dafür deutlich ruhiger und um clusterartige Klänge erweitert – vielleicht wie eine Sphäre oder ein ins Farbige aufgefächerter Lichtstrahl, am Ende in der ruhigen Variante des Anfangs, um einen sinnierenden Nachsatz ergänzt: als seien es viele Facetten, Spielweisen oder Betrachtungen ein und des Selben Sachverhaltes, eben des Lichtes.

Dabei sieht sich das Stück als ein Näherungsversuch an einen Text, der seit tausenden von Jahren ausgelegt und interpretiert wird: hier kann und will er keine eindeutige Deutung geben, sondern vielmehr Richtungen und Sichtweisen, Betrachtungen und Anregungen aufdecken und anmerken, ihnen nachspüren: in diesem Sinne ist jeder Hörer eingeladen, sein eigenes „Emitte lucem“ zu hören, seine eigene Sichtweise zu haben und sein eigenes musikalisches Erlebnis zu machen.

Christoph Ritter

%d Bloggern gefällt das: